Lockdown

Kollateralschäden des Lockdowns

Wenn man das bedenkt, als Spanien im März in den Lockdown ging, hieß es, er würde mal für 14 Tage andauern. In Deutschland sah es etwas später auch so aus. Jetzt – Wochen später – ist unser Leben weiterhin von einer „Normalität“ weit entfernt, viele Bereiche des öffentlichen Lebens sind auch weiterhin geschlossen. Es wird Zeit, sich einmal Gedanken über die Kollateralschäden zu machen, die durch den Lockdown entstanden sind. Da könnte man jetzt eine ganze Anzahl auflisten, ich habe mir hier aber mal den plötzlichen Herztod herausgesucht.

Im Lancet Public Health ist jetzt ein sehr interessanter Artikel erschienen, der zu dem Resultat kommt, dass außerklinische Herzstillstände (AHS) sowohl direkt als auch indirekt durch die COVID-19 Pandemie betroffen sein könnten (1).

Die Autoren haben sich die Datenbanken des Expertencenters für Plötzliche Todesfälle in Paris (Centre d‘Expertise Mort Subite) vorgenommen, um die Fallzahlen von AHS in Paris und den Pariser Vororten während einer 6-wöchigen Zeitspanne während der Pandemie (16.03. – 26.04.2020) mit vergleichbaren Zeitspannen in den letzten 8 Jahren zu vergleichen. Und was sie da herausgefunden haben, ist schon ziemlich erschreckend.

Fast zweimal so viele Fälle von außerklinischem Herzstillstand während des Lockdowns

In dem 6-wöchigen Pandemiezeitraum haben sich die Zahlen an AHS ungefähr verdoppelt und zwar von durchschnittlich 13,42 Fällen in den 8 Jahren auf 26,64 Fälle pro Millionen Einwohner. Das Auftreten von AHS stieg parallel zum Auftreten von COVID-19 assoziierten Krankenhauseinweisungen an. Ähnliche Muster im Auftreten von AHS wurde auch in Italien in der Lombardei (2) und in Kalifornien festgestellt (3).

Dabei ist es ganz wichtig festzustellen, dass in der Lancet Studie das Auftreten von AHS zum Ende des 6-wöchigen Beobachtungszeitraums mit einer Abnahme der COVID-19 Erkrankungen wieder auf die Ausgangswerte zurückfiel.

Es gibt einige mutmaßliche Mechanismen, durch die eine COVID-19 Erkrankung zu einem Herzstillstand führen könnte, so zum Beispiel Entzündungen im Gefäßsystem, Herzentzündungen, Herzrhythmusstörungen und Thrombosen (4).

2/3 der Fälle sind nicht auf COVID-19 zurückzuführen

In der vorgestellten Studie konnten aber nur 33 Prozent der Fälle auf einen direkten Einfluss der COVID-19 Erkrankung zurückgeführt werden. 2/3 der Fälle waren auf indirekte Effekte zurückzuführen. Was hat man sich jetzt darunter vorzustellen?

Nun, unter indirekte Effekte fallen solche Dinge wie:

  • Patienten haben Angst wegen Symptomen, die nicht mit COVID-19 in Zusammenhang stehen, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Hierunter fallen zum Beispiel Symptome, die eventuell auf einen Herzinfarkt hindeuten könnten. Dieser wiederum ist eine der häufigsten Ursachen für den plötzlichen Herzstillstand (3).
  • Soziale Isolation kann zu einer Verschlechterung der geistigen Gesundheit führen und damit zu einer Zunahme an selbstverletztendem Verhalten und Drogenmissbrauch (auch legale Drogen wie Alkohol), die einem Herzinfarkt vorausgehen können.
Es ist wichtig, dass untersucht wird, welche Ursachen zu dieser erhöhten Zahl von Herzstillständen führten, um entsprechende Interventionen zu planen, die zu einer Reduzierung dieser Zahlen führen.

Die Charakteristika der Patienten (Alter, Geschlecht) waren in den Studienzeiträumen gleich, aber es fanden sich gravierende Unterschiede im Ablauf des Geschehens.

Während des Lockdowns kam es in 90,2 Prozent der Fälle zu einem Herzstillstand zuhause im Gegensatz zu 76,8 Prozent während des 8-Jahres Zeitraums. Es fanden sich über 50 Prozent weniger Patienten mit Herzrhythmusstörungen, die defibrilliert werden konnten (9,2 % vs. 19,1 %). Auch Wiederbelebungsmaßnahmen durch Laien fielen von 63,9 Prozent auf 47,8 Prozent. Am drastischsten ging natürlich der Einsatz von öffentlichen Defibrillatoren (sog. AEDs) zurück von 3 Prozent auf 0,4 Prozent).

Wiederbelebungsmaßnahmen stark rückläufig

Die Zeiten bis zum Eintreffen eines Krankenwagens waren länger und der prozentuale Anteil der AHS, bei denen die Krankenwagen-besatzung Wiederbelebungsmaßnahmen begann oder fortsetzte war während der Pandemie geringer als normal (53,1 % vs. 66,2 %).

Bedenkenswert ist, dass jeweils ca. 40 Prozent weniger Patienten das Krankenhaus lebend erreichten und auch lebend entlassen werden konnten. Dabei geht man davon aus, dass die Abnahme der Überlebensraten auf den Verzicht von Wiederbelebungs-maßnahmen zurückzuführen ist.
Es müsste weiter untersucht werden, warum die Wiederbelebungsmaßnahmen nicht aufgenommen wurden. Folgende Ursachen sind dabei möglich:
  • Die Patienten hatten schon sichere Todeszeichen
  • Es gab eine Patientenverfügung „Keine Wiederbelebung“
  • Das Einsatzteam sah von einer Wiederbelebung ab, weil die Infektionsgefahr als zu hoch eingeschätzt wurde (und entsprechende Empfehlungen auch von den Berufsverbänden herausgegeben wurden)
  • Der Eindruck, dass das Gesundheitssystem sowieso schon überfordert war.
Es erscheint logisch, dass die Zahlen für die Laien Wiederbelebung und auch der Einsatz von öffentlichen Defibrillatoren geringere Zahlen aufweisen, da ja die meisten Herzstillstände zuhause erfolgt sein dürften. Dabei ist es genau die Antwort der Gemeinschaft auf einen Herzstillstand, die die Schlüsselrolle in der Optimierung des
Behandlungserfolges spielt und die Überlebenschancen um das 2 – 4-Fache erhöhen kann (6).
Es ist sehr bedenklich, dass wir wahrscheinlich auch nach Aufhebung des Lockdowns damit rechnen müssen, dass die Zahlen für die Laien-Wiederbelebung sich nicht wieder in den Normalbereich bewegen werden. Schließlich verbringen wir seit Wochen in einer absoluten Panikmache, die die Menschen darauf trimmt, ihre Mitmenschen als potentielle Bedrohung anzusehen.  Diese Sichtweise wird sich in der Zukunft wahrscheinlich nicht wieder in normale Bahnen lenken lassen.
Möglicherweise hat die Angst vor Infektionen auch in der Pariser Untersuchung zu einer Verzögerten Aufnahme von Wiederbelebungsmaßnahmen geführt.

Nur kurz mal eingeschoben. Wenn es sie jetzt womöglich wütend macht, dass Menschen verstorben sind, weil Helfer sich nicht getraut haben, Erste-Hilfe-Maßnahmen anzuwenden, dann führen Sie sich mal vor Augen, dass die Empfehlung nicht zu beatmen, auch für Kinder gilt. Und spätestens bei denen wird der empfohlene Verzicht auf eine Atemspende, in den meisten Fällen zum Tode führen.

 

Sollte es nicht gelingen, in der Bevölkerung die Panik vor einer Infektion wieder auf ein Normalmaß zu reduzieren (und das sehe ich im Moment bei einem Großteil der Leute sehr kritisch), dann werden wir uns wohl darauf einstellen müssen, dass die Zahlen derjenigen, die einem plötzlichen Herztod zum Opfer fallen, wieder ansteigen werden. Das nennt man dann einen Kollateralschaden. Aber unsere Politiker und auch die Panikmacher in den Medien können ganz beruhigt sein, schließlich gilt doch:

Wo gehobelt wird, fallen Späne.

Schauen wir mal, ob der Teil der Bevölkerung, der jetzt noch davon überzeugt ist, dass die Maßnahmen gegen COVID-19 gerechtfertigt waren/sind, diese Überzeugung auch noch vertritt, wenn wir dann alle Todesfälle zusammengerechnet haben, die direkt auf den Lockdown zurückgeführt werden können. Spoiler alert: Es sind deutlich mehr als dieses Virus je hätte verursachen können.

 

 

(1) Out-of-hospital cardiac arrest during the COVID-19 pandemic in Paris, France: a population-based, observational study  https://www.thelancet.com/journals/lanpub/article/PIIS2468-2667(20)30117-1/fulltext

(2) Out-of-Hospital Cardiac Arrest during the Covid-19 Outbreak in Italy   https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMc2010418

(3) Where Are All the Patients? Addressing Covid-19 Fear to Encourage Sick Patients to Seek Emergency Care  https://catalyst.nejm.org/doi/full/10.1056/CAT.20.0193

(4)  Potential effects of coronaviruses on the cardiovascular system: a review  http://dx.doi.org/10.1001/jamacardio.2020.1286

(5) Reduction of hospitalizations for myocardial infarction in Italy in the COVID-19 era.  https://academic.oup.com/eurheartj/advance-article/doi/10.1093/eurheartj/ehaa409/5837572

(6) Out-of-hospital cardiac arrest: prehospital management  https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(18)30316-7/fulltext

Ein Gedanke zu „Kollateralschäden des Lockdowns“

  1. Diese Auswertung einer Statistik aus Frankreich kommt genau zum richtigen Zeitpunkt. Denn: die Polonaise Blankenese ist seit kurzer Zeit auch nicht mehr irdisch im Original zu hören! Leider werden Verstorbene 1. nicht mehr wirklich untersucht, was die wahre Todesursache ist und 2. ist Werner Böhm in Spanien verstorben. In welche Statistik würde er nun einfließen?

    Ganz sarkastisch könnte ich jetzt sagen: Ach, dann haben die Polizisten bei G. Floyd keine Angst gehabt vor Ansteckung? Oder noch fieser: der alte Mann, der auf die Straße fiel und mit dem Kopf in seinem Blut lag, dem hat niemand geholfen – auch von den vorbei gehenden Polizisten keiner – aus Angst vor einer Infektion. Nein, ich möchte nicht spotten, die Lage ist dazu viel zu dramatisch. Bei Spanien fällt mir doch noch ein: das Jammern der Ballermann-Stars zu Beginn des Lockdowns! Tja, wer für schlechte Zeiten nichts von seinen Tagesgagen auf Mallorca oder sonstwo zurückgelegt hat, der muss nun darben. Mein Bedauern gilt da eher allen Künstler-Kolleg*innen und allen Systemrelevanten, die für nur einen Moment im Licht der Öffentlichkeit stehen, nach der Krise aber bestimmt weiterhin so schlecht entlohnt werden wie vorher…

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