Gluten

Gluten – gefährlich nicht nur bei Zöliakie?

Glutenfreie Ernährung ist in aller Munde (wortwörtlich). Aber ist das jetzt eigentlich nur eine Modeerscheinung, etwas, womit die Nahrungsmit-telindustrie wieder ordentlich Geld machen kann, oder sollten wir alle uns tatsächlich Gedanken darüber machen, welche Auswirkungen der Glutenkonsum für unseren Körper hat?

Aber zunächst einmal: Was ist eigentlich Gluten? Gluten – oder besser gesagt – Glutene, sind eine Familie von Proteinen, die in Getreide vorkommen. Tatsächlich gibt es hunderte verschiedene Glutene, das bekannteste ist jedoch das α-Gliadin, das in Weizen, Roggen und Gerste vorkommt und der Auslöser für die Zöliakie ist. Neuere Forschungen zeigen aber, dass Glutene, die in anderen Getreiden vorkommen, teilweise noch schwerere Krankheitssymptome auslösen können als α-Gliadin. Wir halten also fest, wirklich glutenfrei bedeutet nicht, auf α-Gliadin zu verzichten, sondern es bedeutet einen Verzicht auf sämtliches Getreide.

Jetzt höre ich schon die Hausärzte aufschreien „so ein Quatsch! Die Zöliakie betrifft nicht mal 1 % der Bevölkerung“. Das ist zwar richtig, jedoch ist eine ausgewachsene Zöliakie nur die Spitze des Eisbergs. Und nur weil die Darmbiopsie negativ ausfällt (d. h. die Darmzotten nicht total zerstört sind), bedeutet das nicht, dass der Mensch Gluten verträgt. Dies wird den Patienten aber leider immer noch von den Kollegen versichert. Tatsache ist, dass der betreffende Patient womöglich unter einer sogenannten Non-Celiac-Gluten-Sensitivity (NCGS) leidet. Von diesem durch Gluten hervorgerufenen Symptomenkomplex sind nach neuesten Schätzungen inzwischen 40 – 60 % der Bevölkerung betroffen – Tendenz steigend.

Damit sind wir auch schon beim allergrößten Knackpunkt. Wie Alessio Fasano, Kindergastroenterologe und Chefarzt des Zentrums für Zöliakieforschung und Behandlung des Massachussetts General Hospitals es ausdrückt: „Kein Mensch kann Gluten verdauen.“ (1) Bei jedem einzelnen verursacht der Verzehr von Gluten einen Schaden in der Darmschleimhaut, der allerdings – da die Darmschleimhaut ein sehr regenerationsfreudiges Gewebe ist – innerhalb einiger Stunden wieder repariert wird. Dummerweise werden wir aber nicht müde, den Glutenvorrat immer wieder aufzustocken: Brot und Müsli zum Frühstück, Salat mit Croutons zum Mittagessen (plus Knobibrot), einen Muffin oder Kekse zum Kaffee, Nudeln oder Pizza zum Abendessen und noch ein paar Chips oder Salzgebäck abends zum Fernsehen. Sie können es sich vorstellen, nicht wahr.

Gluten bewirkt praktisch ein Aufbrechen von Tight Junctions in der Darmschleimhaut. Diese Verbindungen werden physiologischerweise z. B. bei einem Darminfekt geöffnet, um Giftstoffe möglichst schnell aus dem Darm zu entfernen. Werden diese Tight Junctions durch Gluten geöffnet kommt es zum sogenannten Leaky Gut oder in Medizinerhochdeutsch zur Erhöhten Intestinalen Permeabilität. Dies bedeutet, dass die Darmschleimhaut ihre Barrierefunktion verliert und Nahrungsbestandteile und Bakterientoxine ungefiltert in den Blutstrom gelangen. Wie man sich vorstellen kann, ist das keine gute Idee.

Dieser Mechanismus tritt wie gesagt bei jedem Menschen bei jedem Verzehr von Gluten auf. Zu Krankheitssymptomen kommt es, wenn es zu einem Verlust der oralen Toleranz kommt. Dieser Verlust tritt bei jedem Menschen früher oder später auf, wenn er nur genug glutenhaltige Nahrungsmittel zu sich nimmt. Und da Gluten nicht nur in den ganz offensichtlichen Nahrungsmitteln wie Backwaren und Nudeln zu finden ist, sondern die Nahrungsmittel- und Kosmetikindustrie Gluten den meisten Produkten hinzusetzt, werden die Mengen, die wir aufnehmen, täglich größer. Wenn man industriell gefertigte Nahrungsmittel kauft, ist es fast unmöglich Gluten aus dem Weg zu gehen. Leider versteckt es sich unter so vielen Bezeichnungen, das es sehr schwer ist, es gleich zu erkennen, oder hätten Sie gewusst, dass Geschmacksverstärker, Stärke Emulgatoren und natürliche Aromen gerne Gluten enthalten?

Das Perfide an Gluten ist, dass es aber außer bei der Zöliakie nicht unbedingt sofort Symptome hervorruft, die man auf den Verzehr von Gluten zurückführen würde. Was das angeht, sind von Zöliakie Betroffene also sogar im Vorteil, weil schneller eine Verbindung zwischen Erkrankung und Symptomen hergestellt wird. Wie Dr. Tom O’Bryan, Experte für Zöliakie und NCGS, erklärt, bricht die Kette immer in ihrem schwächsten Glied, d. h. nur für einen Teil der Individuen ist es der Darm, andere reagieren mit Migräne, Schizophrenie oder MS, wieder andere mit Autoimmunerkrankungen, Allergien oder Infertilität. (2)(3)

Nehmen wir all das zusammen, kommt man nicht umhin festzustellen, dass der Verzehr von Gluten eigentlich niemandem anzuraten ist. Oder macht Ihnen Russisches Roulette Spaß? Hält man dagegen, dass Gluten selbst überhaupt keinen Nährwert hat und dass gerade die glutenhaltigen Getreide künstlich mit Vitaminen und Spurenelementen angereichert werden müssen, damit sie nicht zu einer Mangelernährung führen, dann sollte es eigentlich leicht fallen, auf Getreide zu verzichten. Und wer sich dann über fehlende Ballaststoffe Gedanken macht, sollte es einfach mal mit einem großen Salat versuchen. So viel leckerer und einfach viel gesünder!

 

(1) http://www.massgeneral.org/doctors/doctor.aspx?id=19184#

(2) http://thedr.com/all-about-gluten/articles/the-conundrum-of-gluten-sensitivity-why-the-tests-are-often-wrong-purring-vs-rumbling/

(2) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/26260366