Die Flutkatastrophe im Ahrtal bringt ans Licht, wie Deutschland im Fall eines solchen Ereignisses wirklich dasteht: mit quasi runtergelassenen Hosen, nicht in der Lage, auf solche Anforderungen adäquat zu reagieren oder das im Ansatz zu reflektieren. An der Berichterstattung werden erhebliche Zweifel laut, denn Radio und TV erfassen wohl im Ansatz nicht, was in der Region zwischen Köln und Koblenz tatsächlich los ist. Gespräche mit Betroffenen und Hilfskräften vor Ort bringen das Ausmaß ans Tageslicht.
Ein Interview, das vor Ort mit zwei Hilfskräften von einer Frau aus der Region gedreht und vorläufig auf YouTube eingestellt wurde, ist inzwischen nicht mehr verfügbar, um Beteiligte an der „Aktion“ zu schützen, die bemüht sind, das wahre Ausmaß zum Ausdruck zu bringen. Es ist gar nicht nötig, sich bei Telegram einzuloggen und wilde Theorien zu verfolgen, es genügt ein Abgleich mit Videos, das Helfer im Gebiet rund um Ahrweiler und Sinzig zeigen. Darin ist die Rede davon, dass zu viele Leute auf Einsatzbefehle warten und nichts tun. Die Helfer aus der betroffenen Region rekrutieren sich aus der eigenen Bevölkerung, während Hilfskräfte aus den anderen Bundesländern heimgeschickt werden. Vermutlich, wenn sie zu erschöpft sind oder ihre Schicht an Grenzen kommt.
Aussagen, auf dem Nürburgring würden zahllose Sanitäter auf ihren Einsatz warten, sind bisher unbestätigt. Es gibt Mengen an Sachspenden, aber die liegen unsortiert in Turnhallen und auf Sammelplätzen herum, weil niemand einen Überblick hat, was und wo etwas gebraucht wird, was wo liegt. So berichtet ein Helfer im betreffenden Video davon, dass vor ihm ein Mann steht ohne Schuhe oder mit zerrissenen Hosen, aber sie müssen ihn wegschicken, weil sie nicht wissen, wo genau passende Schuhe oder ein Hose zu finden sind.
Ähnlich berichtet seine Kollegin von den auswärtigen Helfern und Einsatzkräften, die eher herumstehen und auf den Einsatzbefehl warten, während lokale Unternehmer Fahrzeuge und Personal stellen, um dringende Aufräumarbeiten zu erledigen, die Straßen wieder befahrbar zu machen und dafür zu sorgen, dass Hilfsgüter überhaupt ihr Ziel erreichen. Manchmal scheitert der Einsatz auch an profanen Dingen wie Diesel als Treibstoff.
Medien erwecken dagegen den Eindruck, dass die einheimischen Helfer im Weg stehen, und die Politiker klopfen sich gegenseitig auf die Schulter für ihre Organisation in der Katastrophe. Vollmundig verkündet Finanzminister und Kanzlerkandidat Olaf Scholz in Berlin, dass für den Einsatz von THW oder Bundeswehr keine Rechnungen an die Kommunen erfolgen werden. Sein Kollege, Horst Seehofer, verweigert jegliche Verantwortung für Ausfälle bei vorzeitiger Warnung der Bevölkerung vor dem Ausmaß der Flut. Im Gegenteil, er reflektiert nicht im Ansatz das Versagen seines Amts für Katastrophenschutz. Stichwort: Sirenen. An Rücktritt ist nicht zu denken?
Während im TV abstruse Beiträge laufen, wo die Betroffenen ihre Papiere neu beantragen können und was das kostet, scheint niemand zu ahnen, dass es vermutlich gar keinen Zugang mehr zu Einwohnermeldeämtern gibt und kein Geld mehr in der Tasche ist, von dem neue Personalausweise und Geburtsurkunden bezahlt werden könnten?
Scheckkarten und Banken, wo bisher Geld abgehoben werden konnte, sind gerade nicht zugänglich. Von unbürokratischer Hilfe und sofortiger Auszahlung von Spenden ist die Rede, aber wer hat noch ein Konto und Zugang dazu? Von der Krise profitieren inzwischen andere, die sich an den Spendengeldern bedienen und Langfinger, die solche Notlagen ausnutzen.
Offensichtlich schicken die Medienvertreter keine Profis „an die Front“, die wahrheitsgetreu berichten. Oder diese finden keine Betroffenen, die in der Lage sind, zu erzählen, was ihnen widerfährt. Eine Frau, die noch am Tag vor der Flut mit ihrer Familie in das neue Haus zog, das am nächsten Tag von der Flut zerstört wurde. Nur eine Geschichte von so vielen. Seelsorge fehlt überall, die Leute, die einfach anpacken oder trösten und die Helfer entlasten, die völlig fertig sind. Jemand, der Mut zuspricht, wie es der Oberbürgermeister von Grimma bei Markus Lanz schildert: Die Leute brauchen einfach Zuspruch, jemanden, der die Schaufel nimmt und anpackt, dem eine Pause verschafft, der nicht mehr kann, das aber nicht zugeben wird. Genau daran hapert es aber.
Die Frau, die das Interview mit den beiden Hilfskräften führt, ist einen Tag zuvor entlang der Flutmulde gelaufen und hat das wahre Ausmaß dennoch kaum fassen können: Sie ging, gut ausgerüstet, den Fluss entlang. Sie fand schon auf dem Weg alleine 50 Wohnwagen, diverse Pkw, im Schlamm versackt, keiner weiß, wie viele Tote noch darin sind… Das nur als Ansatz, was da wirklich los ist. Leider fehlt eine Plattform, auf der solche Erfahrungen und auch Gespräche mit Betroffenen 1:1 abgebildet werden, um das ganze Ausmaß deutlich zu machen. Menschen, die direkt angesprochen werden, geben sich extrem tapfer, sie brechen erst bei anhaltendem Nachfragen, was sie wirklich jetzt brauchen, unter der Last zusammen. Dort gilt es anzusetzen, und zwar UNBÜROKRATISCH, bitte.