Zuckersucht

Sind Sie auch ein Suchtopfer?

Die Zahl der Drogentoten in Deutschland ist zum vierten Mal in Folge gestiegen. Das geht aus dem Jahresbericht zur Rauschgiftkriminalität hervor. Nach einem jahrelangen Rückgang nahm auch die Zahl der Heroin- und Kokainkonsumenten wieder zu. Im Jahr 2015 starben 1226 Personen an den Folgen illegalen Drogenkonsums.

Wow, was für eine Zahl. Das ist natürlich ganz schrecklich und auch immer wieder eine Nachricht in der Tagesschau wert. Aber ich glaube, dass wir einfach den falschen Statistiken unsere Aufmerksamkeit schenken. Wie sieht es denn mit den ganz legalen Drogen aus? Ich meine hier natürlich Alkohol und Tabak. Ich darf Ihnen verraten, das ist wirklich keine schöne Statistik.

In Deutschland sterben 200 Menschen pro Tag an den Folgen von Alkohol und 300 wegen Tabakkonsums. Das bedeutet, dass durch Alkohol- und Tabakkonsum in Deutschland mehr als hundertmal so viele Menschen sterben wie durch illegale Drogen (1). Etwa 74.000 Menschen sterben demnach jedes Jahr allein durch Alkohol oder den kombinierten Konsum von Alkohol und Tabak. Tote durch die Folgen des Rauchens gab es zuletzt zwischen 100.000 und 120.000 jährlich.

Warum wird darüber eigentlich nicht gesprochen? Warten Sie mal… Es kann doch wohl nichts damit zu tun haben, dass der Staat den Tabakanbau subventioniert und an den Steuern für Tabak und Alkohol gut verdient? Nein, das glauben Sie doch auch nicht, oder?

Das wirklich große Problem liegt aber noch ganz woanders

Ich habe ja die Frage gestellt: Sind Sie auch ein Suchtopfer. Okay, wir haben jetzt illegale Drogen, Alkohol und Tabak. Vielleicht mussten Sie da bei dem einen oder anderen schon einknicken und sagen: vielleicht…

Es kommt aber natürlich noch viel besser. Ich behaupte, wir haben hier im Land und vielleicht sogar in der gesamten westlichen Welt mehr Süchtige als Menschen, die nicht süchtig sind. Und es ist genau eine Substanz, auf die wir uns eigentlich alle einschießen sollten. Diese Substanz wird weder zu den illegalen noch zu den legalen Drogen gerechnet, obwohl sie dort einen Ehrenplatz einnehmen sollte. Haben Sie schon eine Ahnung, worauf ich hinaus will?

Es ist: Trommelwirbel……

Zucker

Zucker ist die Droge, die vielleicht am meisten Leben kostet. Und das Gefährliche daran ist, dass sie ganz klein und unscheinbar daherkommt (weiß und rein).

Sehen wir uns doch mal die Zahlen an. Pro Jahr haben wir:

  • 24000 Diabetestote (Zucker verursacht Diabetes Punkt).
  • 354500 Herz-Kreislauftote (Zucker führt zu Gefäßentzündungen).
  • 224000 Krebstote (Zucker füttert Krebs).

Natürlich ist mir klar, dass diese Krankheiten nicht nur durch Zucker ausgelöst werden. Aber machen Sie sich nichts vor: Zucker spielt eine große Rolle. Und denken Sie nicht auch, dass es toll ist, dass wir von 1226 Drogentoten jetzt auf  602500 Tote unter Mitbeteiligung von Zucker kommen.

Tatsächlich glauben die meisten Leute nicht, dass Zucker wirklich eine Droge sein könnte und ein Suchtpotential hat. Und wenn Sie fragen, dann isst eigentlich auch niemand Zucker. Also ehrlich nicht. Die Leute essen nur alle Brot und Müsli, trinken Fruchtsaft und Honig – reine Nervennahrung. Komisch ist nur, dass die Kekse, Schokolade, Gummibärchen usw. usw., die sicher auch bei Ihnen in der Firma häufig im Aufenthaltsraum auftauchen, immer sofort weg sind (einfach in Luft aufgelöst).

Wie Zucker uns süchtig macht

Eine von der Princeton University 2008 veröffentlichte Studie zeigt auf, wie es durch Zucker zur Suchtentwicklung kommt.

Es handelte sich um eine Untersuchung an Ratten. Den Tieren wurde zunächst zwölf Stunden gar nichts zu fressen gegeben, dann aber unbegrenzte Mengen an Zucker. Nach einem Monat zeigten die Ratten Suchtverhalten, als man ihnen nicht zuckerhaltige Nahrung gab. Sie waren ängstlich und nervös und zeigten klassische Entzugserscheinungen, wie man sie bei der Abhängigkeit von harten Drogen wie Morphin oder Kokain kennt (2).

Hierzu kommt es, weil Zucker die gleichen Hirnregionen aktiviert wie andere Drogen, sei es Kokain, Heroin oder Tabak. Auf den Konsum von Zucker folgt zunächst ein Glücksgefühl, das uns wieder zugreifen lässt. Denn Zucker wirkt leider deutlich stärker als Salat auf das Belohnungssystem im Gehirn. Er sorgt dafür, dass mehr Dopamin und Opioide (sogenannte Endorphine) im Gehirn ausgeschüttet werden. Und diese körpereigenen Stoffe sorgen dafür, dass in uns das Verlangen ausgelöst wird, das gute Gefühl erneut zu erzeugen. Wir greifen also wieder zur Tüte mit den Gummibärchen.

Allerdings kommt es bei länger anhaltendem Konsum zum genauen Gegenteil. Die Dopaminkonzentration fällt, und der Konsum muss verstärkt werden, um den gleichen Effekt zu erzielen (Toleranz). Das heißt, es wird immer mehr Zucker benötigt.

Eric Stice vom Oregon Research Institute hat untersucht wie genau Zucker auf unser Gehirn wirkt. Er ließ 100 High School Schüler verschiedene Milkshakes trinken, um herauszufinden, was einen höheren Konsum verursacht, der Zucker- oder der Fettgehalt (3).

Die Studie untersuchte die Aktivität verschiedener Hirnregionen und kam zu dem Schluss, dass zwar beide Milkshakes die Belohnungszentren im Gehirn aktivierten, die Zucker Milkshakes dies aber wesentlich effektiver taten. Durch sie wurde ein Nahrungs-Belohnungsnetzwerk angeworfen, dass auch bei zwanghaften Essstörungen eine Rolle spielt.

Stice und seine Kollegen waren sehr überrascht von dem Ergebnis, dass Zucker mehr Einfluss hat als Fett, auch dann, wenn die beiden in großen Mengen kombiniert wurden. Zuckerhaltige, fettarme Shakes fuhren die Belohnungssysteme genauso stark hoch wie zuckerhaltige, fetthaltige Shakes. Laut Stice geht Fett nur als Zweiter ins Ziel.

Zucker hat ein größeres Suchtpotential als Kokain

2007 untersuchte eine Studie, ob Zucker vom Suchtpotential her ähnlich einzuschätzen ist wie Drogen (in diesem Fall Kokain) (4).

Die Untersucher verabreichten Ratten i.v. Kokain, um eine Sucht zu erzeugen. Dann erhielten die Ratten die Wahl zwischen i.v. Kokain oder mit Saccharin (künstlicher Süßstoff) gesüßtem Wasser. 94 % der Ratten entschieden sich für das gesüßte Wasser. Mit Sucrose – einem natürlichen Zucker – kam es zu dem gleichen Ergebnis.

Interessanterweise bevorzugten die Ratten auch dann noch Zucker, wenn die Kokaindosis erhöht wurde.

Die Untersucher stellen fest:
Unser Ergebnis zeigt, dass eine intensive Süße die Belohnungsreaktion auf Kokain sogar in drogensensibilisierten und -süchtigen Individuen übersteigen kann. Wir nehmen an, dass das suchterzeugende Potential von intensiver Süße von einer angeborenen Überempfindlichkeit gegen süßen Geschmack hervorgerufen wird.
Die Süße Rezeptoren der meisten Säugetiere entwickelten sich in einer Zeit, in der es sehr wenig Zucker gab und sind deshalb an heutige Zuckerkonzentrationen nicht angepasst. Die übernormale Stimulation dieser Rezeptoren durch eine zuckerreiche Ernährung, ruft ein übernormales Belohnungssignal im Gehirn hervor, das das Potential hat, Selbstkontrollmechanismen außer Kraft zu setzen und so zur Sucht führen kann.
Ein größeres Suchtpotential als Kokain? Sie haben keine Chance gegen den Chocolate Chip Cookie.

Zuckersucht kann wie Drogensucht behandelt werden

Im letzten Jahr kam eine Studie von der Queensland University of Technology heraus, die von Professor Selena Bartlett geleitet wurde. Sie ist die erste weltweite Studie, die sich mit der Therapie der Zuckersucht beschäftigt (5).

In ihr wurde gezeigt, dass Medikamente, die für den Tabakentzug eingesetzt werden (sogenannte partielle nikotinische Acetylcholinrezeptoren-Agonisten), im Tierversuch auch für die Therapie der Zuckersucht verwendet werden können. Untersucht wurde das Medikament Vareniclin, das unter dem Namen Champix vertrieben wird.

Vareniclin hat einen dualen Wirkmechanismus: es wirkt einerseits als partieller Agonist am α4β2-Nikotinrezeptor, wo die Bindung die Symptome des Rauchverlangens und des Entzugs lindert (agonistische Wirkung), und anderseits bewirkt es, falls geraucht wird, eine Reduktion des Belohnungs- und Verstärkungseffekts, und zwar durch eine Blockade der Bindung von Nikotin (antagonistische Wirkung).

Schon wird diskutiert, ob diese Medikamente zur Zuckerentwöhnung eingesetzt werden können.

Die Studie zeigte übrigens auch, dass künstliche Süßstoffe wie Saccharin die gleichen Effekte wie Tafelzucker hervorriefen. Auch deren Einsatz sollte wohl nochmal überdacht werden. Außerdem haben sie natürlich noch ganz andere gesundheitliche Nachteile.

Und? Gehören Sie auch zu dem großen Heer von Zuckersüchtigen? Sollten Sie sich überwinden können, den Zucker für 2 Wochen aus Ihrem Leben zu verbannen, müssen Sie sich nicht wundern, wenn Sie Symptome haben wie ein Drogensüchtiger auf Cold Turkey (das nennt sich Kohlenhydrat-Grippe). Wenn Sie durchhalten, werden Sie feststellen, dass es Ihnen auf einmal so gut geht, dass Sie es gar nicht glauben können.

Ich werde auf der Arbeit oft bedauert, weil ich einen Kuchen nicht essen „kann“. Tatsächlich ist es aber so, dass ich diesen Kuchen nicht essen will, und das ist ein Riesenunterschied. Mir ist völlig klar, was Zucker in unserem Körper anrichtet, und ich möchte nicht meine letzten Jahre als Pflegefall in einem Altersheim verbringen. Also sorge ich dafür, dass mein Gehirn Nährstoffe bekommt und nicht durch Zucker karamellisiert wird.

Was sind Ihre Ziele? Denken Sie mal darüber nach.

 

(1) http://www.dhs.de/fileadmin/user_upload/pdf/Presse/2015/2015-05-11-PM1_Jahrbuch_Drogensituation.pdf

(2) Evidence for sugar addiction: Behavioral and neurochemical effects of intermittent, excessive sugar intake. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2235907/

(3) Relative ability of fat and sugar tastes to activate reward, gustatory, and somatosensory regions. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/24132980

(4) Intense Sweetness Surpasses Cocaine Reward. http://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0000698

(5) Neuronal Nicotinic Acetylcholine Receptor Modulators Reduce Sugar Intake.  http://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0150270