In Deutschland lebt etwa 10 Prozent der Bevölkerung mit einem Diabetes, davon ca. 90 Prozent mit einen Typ II Diabetes. Besonders hoch ist die Zahl der von Typ II Diabetes Betroffenen in der Bevölkerung über 80 Jahre. In dieser Altersgruppe leiden über eine Million Menschen an Typ II Diabetes (1).
Die Zahl der Neuerkrankungen steigt ständig, weshalb es auch völlig unsinnig ist davon auszugehen, dass es sich um eine genetisch bedingte Erkrankung handelt. Noch vor etwas über 100 Jahren gab es nur vereinzelt Fälle von Typ II Diabetes. Wir müssen also ganz klar sagen, dass es sich hier um eine Erkrankung handelt, die durch einen falschen Lebensstil hervorgerufen wird.
Die meisten Patienten mit einem Diabetes Typ II werden mit Tabletten (v. a. Metformin) später auch mit Insulin behandelt. Ernährungsempfehlungen zielen weiterhin auf einen hohen Anteil an Kohlenhydraten ab, was eigentlich absolut unverständlich ist, wenn man bedenkt, dass der Typ II Diabetes durch eine Insulinresistenz verursacht wird. Das bedeutet, dass die Körperzellen nicht mehr auf das Hormon Insulin reagieren, das ausgeschüttet wird, wenn der Blutzuckerspiegel zu hoch ist. Zur Erinnerung: Der Diabetes ist eine Kohlenhydratstoffwechsel-störung, keine Fettstoffwechselstörung. Welchen Sinn ergibt es, genau den Nahrungsbestandteil zuzuführen, der zur Erkrankung führt? Gar keinen. Sag ich doch.
Zum Glück setzt sich bei einigen Therapeuten inzwischen der gesunde Menschenverstand durch, und sie raten ihren Patienten zu einer kohlenhydratarmen Diät. Selbst das Ärzteblatt berichtete, dass die Ketogene Diät durchaus eine Therapieoption beim Typ II Diabetes darstellen könnte (2). Studien zu diesem Thema laufen auf Hochtouren.
Was versteht man unter einer Ketogenen Diät?
Die Ketogene Diät zeichnet sich dadurch aus, dass die tägliche Zufuhr an Kohlenhydraten auf ein sehr niedriges Maß reduziert wird, das sich im Bereich von 5 – 10 Prozent der Gesamtkalorien bewegt. Stattdessen wird der Fettanteil der täglichen Kalorien drastisch angehoben auf 60 – 80 Prozent. Proteine werden in Maßen zugeführt. Die Quellen für Fette und Proteine können sowohl aus tierischen als auch aus pflanzlichen Nahrungsmitteln bestehen.
Die Ketogene Diät ist übrigens keine neue Erfindung, sondern wurde schon 1921 eingesetzt, um epileptische Anfälle bei Kindern zu behandeln. Diese Therapie wurde natürlich verlassen, als die ersten Antiepileptika auf den Markt kamen (3). Warum soll man schließlich mit Ernährung behandeln, wenn man doch mit Medikamenten Geld verdienen kann.
In letzter Zeit wurde die Ketogene Diät für verschiedene Indikationen untersucht, so als Mittel zur Gewichtsabnahme, zur Vorbeugung und Behandlung von neurologischen Erkrankungen und für die Behandlung von Zuständen, die mit einer Insulinresistenz einhergehen wie zum Beispiel der Typ II Diabetes und das polyzystische Ovarialsyndrom (PCOS) (4).
Zwar sind die Daten zur Effektivität der Ketogenen Diät bei diesen Erkrankungen uneinheitlich, aber es gibt schon ein paar Schlussfolgerungen, die Kliniker aus diesen Daten ziehen können, und die sie vielleicht veranlassen sollten unter bestimmten Umständen diese Ernährungsform in Ihre Therapie einzubeziehen.
Grundüberlegungen für den Einsatz der Ketogenen Diät
Die biochemische Begründung für ketogene Diäten als therapeutische Behandlungen beruht auf der Tatsache, dass eine sehr geringe Kohlenhydratzufuhr und die daraus resultierenden niedrigen Blutzuckerspiegel den Körper dazu veranlassen, weniger Insulin freizusetzen und stattdessen Fettsäuren und deren Stoffwechselprodukte, sogenannte Ketonkörper, als primäre Energiequelle zu verwenden. Während der Ketogenese werden nicht nur Insulin- und Glukosespiegel gesenkt, sondern es können auch andere hormonelle Veränderungen auftreten, die sich positiv auf die Gesundheit auswirken können.
Solange dem Körper Kohlenhydrate vorenthalten werden, bleibt er in einem Zustand der ernährungsbedingten Ketose, in dem kleine Mengen an Ketonsäuren effektiv im Blut gepuffert werden. Dieser Zustand ist nicht zu verwechseln mit einer Ketoazidose, die bei Typ I Diabetikern auftreten kann, mit Veränderungen des Blut-pH-Werts einhergeht und bei der große Säuremengen lebensbedrohliche Veränderungen im Säure-Basen Haushalt des Körpers hervorrufen können.
Weitere potenzielle biochemische Vorteile von Ketonkörpern sind die Fähigkeit, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden und Nervenzellen als Energiequelle zu dienen, die sonst nur mit Glukose betrieben werden. Außerdem haben sie die Fähigkeit, Schäden durch freie Radikale zu verringern und die antioxidative Kapazität zu erhöhen.
Ketogene Diät, Adipositas und Diabetes
Seit Mitte der 60-ger Jahre gibt es Untersuchungen zur Auswirkung der Ketogenen Diät auf die Adipositas (Fettleibigkeit). Die Resultate waren gemischt. Allerdings wurden nur wenige Studien durchgeführt und die Ketogene Diät gegen eine Kontrollgruppe untersucht, die fastete (5, 6). Neuere Studien zeigen immer wieder, dass kohlenhydratarme Diäten (ob Keto oder nicht) zu einer größeren Gewichtsabnahme führen als andere Diäten – inklusive fettarmer Diäten (also die Diät, die uns immer noch empfohlen wird) (7, 8).
Eine ketogene Diät führt wahrscheinlich auch zu einer Verbesserung der Blutfettspiegel (LDL und HDL-Cholesterin, Triglyzeride). So führt eine Ketogene Diät in den meisten Fällen zu einer Abnahme der Triglyzeride (was gut ist). Es gibt auch Studien, die zeigen, dass die Ketogene Diät bei Patienten mit Typ II Diabetes die Blutwerte so weit verbessert, dass sie ihre Medikamente reduzieren bzw. in einigen Fällen sogar ganz absetzen können (9, 10).
Bei adipösen Personen mit Typ II Diabetes kommt fast jede Studie zu dem Schluss, dass die Ketogene Diät zu einer besseren Blutzuckerkontrolle sowie niedrigeren Blutzucker- und HbA1c Werten führt. Und auch was den Stoffwechsel angeht, punktet die Ketogene Diät, denn sie führt nicht zu einem Abfall der Stoffwechselrate im Gegensatz zu einer fettarmen Diät, bei der der Grundumsatz schon mal um 400 kcal fallen kann (11).
Eine weitere Ernährungsform, die sich auf die Ketose stützt, ist übrigens das Intervallfasten. Dieses gibt es in mehreren Variationen. Als tägliches Fasten mit einer Reduzierung der Nahrungsaufnahme auf 6 – 8 Stunden, als wöchentliches Fasten mit 1 – 2 Fastentagen oder auch als vierteljährliches Fasten mit 5 zusammenhängenden Fastentagen. Auch beim Intervallfasten kommt es zu einer Abnahme des Körperfettes und einer Verbesserung der Stoffwechsel-parameter bei adipösen Patienten mit Typ II Diabetes (12).
Was Sie beachten sollten
Während bei ketogenen Diäten die Menge der zu konsumierenden Kohlenhydrate streng begrenzt ist, gibt es erhebliche Unterschiede in der Verteilung der anderen Makronährstoffe. Einige Leute konzentrieren sich auf eine sehr hohe Fettaufnahme (mit wenig Protein), während andere moderatere Mengen von Fett und Protein verwenden. Es existieren wenige Studien, die eine fettreiche mit einer fettärmeren Ketogenen Diät vergleichen. Theoretisch ergibt aber die fettreiche Variante mehr Sinn, denn die Begrenzung der Proteinaufnahme auf weniger als ein Gramm pro Pfund Körpergewicht verhindert die Neubildung von Glukose durch Glukoneogenese. Die Aminosäuren aus Protein können vom Körperin Glukose umgewandelt werden (und Sie damit womöglich sogar aus der Ketose herauskicken), Fett jedoch nicht.
Einige Studien haben gezeigt, dass das LDL-Cholesterin unter einer Ketogenen Diät ansteigen kann. Hier stellt sich die Frage, muss man jetzt Angst vor einem Herzinfarkt haben. Die Antwort ist: Nicht unbedingt. Beim LDL kommt es nämlich durchaus auf die Größe an. Kleine, oxidierte LDL Partikel sind gefährlich, während große, fluffige Partikel das Infarktrisiko nicht erhöhen. Es ist also sinnvoll, die Partikelgröße des LDL bestimmen zu lassen, wenn dieser Wert stark ansteigt.
Um zu sehen, ob Sie tatsächlich in Ketose sind, sollten Sie ab und zu Ihre Ketonkörper messen. Hier ist die Bestimmung der Ketonkörper im Blut die genaueste Messung, aber es gibt auch Messungen, die nicht mit Nadeln verbunden sind wie die Messung im Urin oder in der Ausatemluft. Zu beachten ist dabei, dass die Ketonkörper im Urin zurückgehen bzw. überhaupt nicht mehr nachweisbar sind, wenn Ihr Körper gut auf Fettverbrennung eingestellt ist.
Vorsicht scheint bei Diabetikern geboten zu sein, die SGLT2 Hemmer (Glifozine) einnehmen, da sie unter Umständen eine lebensgefährliche Ketoazidose entwickeln können. Diese Medikamentengruppe erhöht für sich allein schon das Risiko für eine Ketoazidose (13), und man kann nicht ausschließen, dass eine sehr kohlenhydratarme Diät dieses Risiko weiter verstärken könnte. Die Studienlage ist zwar eher schwach, aber im Sinne des Vorsorgeprinzips würde man Patienten unter Therapie mit SGLT2 Hemmern eher von einer Ketogenen Diät abraten.
Als letzter Punkt sei noch angemerkt, dass Sie sich bezüglich der Dauer Ihrer Ketogenen Diät Gedanken machen sollten. Die meisten Menschen führen eine Ketogene Diät nicht konstant durch, sondern mit Unterbrechungen. Dies entspricht auch sicherlich den Erwartungen unseres Körpers. Wenn wir uns unsere Jäger und Sammler Vorfahren ansehen, so können wir davon ausgehen, dass sie Zeiten der Ketose hatten (zum Beispiel im Winter), die sich mit Zeiten abgewechselt haben, in denen sie mehr Kohlenhydrate gegessen haben (vor allem im Herbst). Es gibt Leute, die seit Jahren eine Ketogene Diät durchführen und absolut darauf schwören, aber es gibt eben auch die Verfechter von Ketose Zyklen, deren Überlegungen ich durchaus logisch finde.
Letzten Endes sollten Sie lernen, auf Ihren Körper zu hören. Wenn Sie nach einer gewissen Zeit in Ketose merken, dass es Ihnen nicht mehr so gut geht, dann ist es vielleicht Zeit für ein paar zusätzliche Kohlenhydrate. Die sollten dann aber bitte gesund sein und nicht etwa aus Backwaren und Zucker bestehen.
(1) https://www.diabetesinformationsdienst-muenchen.de/erkrankungsformen/typ-2-diabetes/verbreitung/index.html
(2) https://www.aerzteblatt.de/archiv/201673/Gegen-Diabetes-und-Adipositas-Dein-Freund-der-Ketonkoerper
(3) Ketogenic Diet. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK499830/
(4) Ketogene Diät: evidenzbasierte therapeutische Anwendung bei endokrinologischen Erkrankungen https://econtent.hogrefe.com/doi/10.1024/1661-8157/a003246
(5) Weight Reduction: Fasting versus a Ketogenic Diet https://academic.oup.com/nutritionreviews/article-abstract/24/5/133/1825751?redirectedFrom=fulltext
(6) https://annals.org/aim/article-abstract/680246/changes-body-composition-during-weight-reduction-obesity-balance-studies-comparing?doi=10.7326%2f0003-4819-63-4-604
(7) https://www.thelancet.com/journals/landia/article/PIIS2213-8587(15)00367-8/fulltext
(8) Effect of low-fat diet interventions versus other diet interventions on long-term weight change in adults: a systematic review and meta-analysis https://www.cambridge.org/core/journals/british-journal-of-nutrition/article/verylowcarbohydrate-ketogenic-diet-v-lowfat-diet-for-longterm-weight-loss-a-metaanalysis-of-randomised-controlled-trials/6FD9F975BAFF1D46F84C8BA9CE860783
(9) Comparison of low- and high-carbohydrate diets for type 2 diabetes management: a randomized trial https://academic.oup.com/ajcn/article/102/4/780/4564662
(10) Improvement in Glycemic and Lipid Profiles in Type 2 Diabetics with a 90-Day Ketogenic Diet https://new.hindawi.com/journals/jdr/2019/8681959/
(11) Resting metabolic rate of obese patients under very low calorie ketogenic diet https://nutritionandmetabolism.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12986-018-0249-z
(12) Effect of Intermittent Compared With Continuous Energy Restricted Diet on Glycemic Control in Patients With Type 2 Diabetes https://jamanetwork.com/journals/jamanetworkopen/fullarticle/2688344
(13) Neues zu Nebenwirkungen von SGLT-2-Hemmern bei Diabetes mellitus Typ 2 https://www.der-arzneimittelbrief.de/de/Artikel.aspx?SN=7876